Auf zwei Stockwerken wird ein interessanter Einblick in Allgeiers Fotobücher geboten. Ausgewählte Bilder aus seinem ersten Buch »Fading Temples« werden auf der ersten Ebene gezeigt. Hier sind immer ein Jugend-Portrait in Kombination mit einem Landschaftsfoto zu sehen und erzählen damit aufregende Narrative. Auf dem zweiten Stockwerk werden brandneue Fotos aus Allgeiers geplanten Buch mit dem Arbeitstitel »Hole in the Sky« ausgestellt und erstmals öffentlich präsentiert. Bei dieser Serie stehen die Fotos nun für sich und verleihen dem Raum damit eine andere Aura. Die erste Fotoreihe entstand zwischen 2018 und 2022 und die Fotos aus der zweiten Serie hat Allgeier 2023 aufgenommen.
Im Fokus von »Fading Temples« stehen Environments – Fotos von Sonnenuntergängen, Landschaften, Objekten aus der Natur, Gebäude oder Einrichtungen und Porträts von Jugendlichen der Generation Z. Diese Jugendlichen, die zwischen 1995 bis 2010 geboren sind, schauen auf den Bildern nachdenklich, verträumt oder müde, so als hätten sie gerade eine lange Party hinter sich. Wie die junge Yulya Kastryulka, die grünen Lidschatten trägt und mit ihren bunten Haaren und verträumten Blick die verspielte und experimentierfreudige Generation Z repräsentiert.
Die Landschaftsfotos von Allgeier schauen auf dem ersten Blick sehr idyllisch aus mit schönen Sonnenuntergängen, sanften Farben und weichem Licht. Auf dem zweiten Blick aber findet man aber einen „Bruch“ auf diesen Bildern: Der Horizont ist schräg, das Moos wächst auf Plastikplanen oder eine Plastikflasche liegt versteckt auf dem Strand. Die Zusammenstellung der zwei fotografischen Genres kreiert damit ein eindrucksvolles Bild dieser jungen Generation, die mit Klimawandel und sozialen Medien aufgewachsen sind.
„Es gibt keinen direkten Zusammenhang bei den Gegenüberstellungen. Und außerdem gibt es auch keine genauen Hinweise auf die Orte, die auf den Fotos zu sehen sind. Ich wollte alles sehr bewusst allgemein und offen halten, um freie Assoziationen zu erzeuge,“ erzählt Neven Allgeier. Somit sind die Fotos frei kombinierbar und können so neue Narrative schaffen. Dies macht Allgeiers Fotoserie besonders spannend. Jeder interpretiert die Fotos anders. Man projiziert die eigenen Erlebnisse und eigene Generation auf die Bilder. Auf jüngere Betrachter hat die Fotostrecke vermutlich auch eine andere Wirkung als auf ältere. Besonders junge Erwachsene können sich womöglich sehr gut mit den Porträts identifizieren. Gefärbte Haare, neue Hairstyles oder Makeup, dass an der verrückten Harley Quinn aus »Suicide Squad« erinnert.
Sehnsucht nach Natur
„Die Fotos sind variabel kombinierbar und man kann sie beliebig in Verbindung setzen. Wenn daraus Gespräche anstehen und ich damit Gedanken anstoßen kann, bin ich sehr dankbar,“ verrät der Fotograf. In der Ausstellung wurden deshalb auch manche Fotos anders zusammengestellt als im Fotobuch aus dem Distanz Verlag und geben damit nochmals andere Gedankenströme. Das Porträt der verträumten Yulya im Zusammenhang mit dem schrägen Dämmerungs-Landschaftsbild erzeugt zum Beispiel eine Sehnsucht nach Natur, die immer wieder durch Umweltverschmutzung und Klimawandel bedroht wird. Auch das Foto eines vor sich hinschmelzenden Eisblocks erzeugt eine leicht-dystopische Stimmung. Diese dystopische Aura entstehe zwar, aber eigentlich gehe es in den Bildern eigentlich um Ambivalenz, erklärt Allgeier. „Ich will diesen Bruch mit dem Schönen erzeugen und auf Missstände wie Umweltverschmutzung aufmerksam machen, aber ich mache dies nicht mit der Brechstange.“ Durch diesen subtilen und uneindeutigen Flair wirkt Allgeiers Arbeit stets mysteriös, interessant und aufregend. Es ist niemals ein statisches Bild und lässt Raum für weitere Betrachtungswinkel. Auch die Tatsache, dass Allgeiers Fotos eine Mischung aus Inszenierung und Dokumentaraufnahmen darstellt, gibt der Fotoserie eine gewisse Anziehungskraft.
In der zweiten Fotoreihe aus Allgeiers »Hole in the Sky« stehen die Individuen noch mehr im Mittelpunkt. Dies liegt zum einen daran, dass die Portraits auf der zweiten Ebene allein für sich stehen und auf großen Plakaten gedruckt sind. Zum anderen werden nun intime Momente und Gruppendynamiken dargestellt. Zum Beispiel sieht man zwei sich umarmende nicht-binäre Personen bei blauem Morgenlicht. Durch die kurzen Haarschnitte und leicht-freizügigen Outfits werden Geschlechtercodes aufgebrochen. Auch die Experimentierfreudigkeit der Gen Z wird hier nochmals hervorragend gezeigt. Dazu haben diese intimen Szenen eine noch größere Anziehungskraft auf den Betrachter. Der Fotograf setzt sich stets in Kontakt mit den Personen auf seinen Porträtbildern, um einen Einblick in deren Leben zu bekommen. Damit bietet Allgeier eine Plattform für junge Leute, um sich frei auszudrücken. Auch die Lichtstimmung und Machart der Fotos erzeugen eine neue besondere Ausstrahlungskraft. Viele Fotos haben nun einen blauen Filter, da sie morgens geschossen wurden. Dieser bläuliche Lichtstimmung verstärkt nochmals den verträumten Gesichtsausdruck der jungen Leute. Des Weiteren wurden viele Fotos, wie ein Schmetterling auf einem Blütenblatt, nun mit einer Handykamera geschossen. Dies soll zeigen, dass das Handy nun das wichtigste Medium der Gen Z geworden ist, um Fotos zu klicken. Auch ausgestellte sequenzielle Bildfolgen bringen dies nochmals zur Geltung und erinnern dabei an bewegte Handyfotos.
Neven Allgeiers »Two Heavens As One« ist gewiss eine einzigartige Ausstellung. Durch die freie Zusammenstellung von Naturbildern und Jugendporträts werden stets interessante Narrative und Assoziationen in den Köpfen der Betrachterinnen und Betrachter erzeugt. Damit wirken die Fotografien nie langweilig und geben reichlich Diskussionsstoff. Allgeiers Landschaftsmotive sehen sehr idyllisch und angenehm aus und zugleich gibt es stets einen Bruch, der dystopische Gefühle hervorruft. Die Porträtbilder sind ebenfalls etwas Besonderes: Sie geben der Generation Z ein Gesicht, die Geschlechtergrenzen überschreiten, Tabus brechen und mit dem Klimawandel konfrontiert werden.
Die Ausstellung „Two Heavens As One“ mit den Bildern von Neven Allgeier ist vom 4. Mai bis zum 30. Juni im Kunsthaus Göttingen zu sehen. Die Ausstellung ist geöffnet Donnerstag von 15-18 Uhr (am 1. Donnerstag im Monat bis 20 Uhr und Art after Work ) sowie Freitag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.
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Im Artikel genannt
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Kunsthaus Göttingen
»Das Kunsthaus Göttingen ist ein Haus für Alle – unabhängig von Alter, Bildungsstand oder Geldbeutel. Dafür bieten wir in den ersten Jahren auch den freien Eintritt an, damit jede*r das Haus kennenlernen und genießen kann.«
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