Eine Ausgangslage, die wie geschaffen ist, um im Theater verhandelt zu werden, wo das Spiel mit dem Anschein von Fall zu Fall nachgerade zum Prinzip erhoben wird. Und so sehen wir eine Tessa, deren toughe Maske bricht, weil ihre strafrechtliche Expertise vom ersten polizeilichen Verhör bis zur Entscheidungsfindung der Jury immer wieder zerschmettert wird durch ihre eigene Betroffenheit: Auf der Wache löscht sie eine eingehende Nachricht des Täters vorschnell vom Smartphone – und realisiert zu spät, dass ihr verständlicher, impulsiver Ekel hier über ihren kühlen Sachverstand obsiegt, dass sie ein mögliches Beweismittel vernichtet hat. Im Gerichtssaal sieht sie sich, vom Richter über den Angeklagten bis hin zu dessen Verteidiger, mit einer reinen Männerriege konfrontiert, registriert haargenau deren Reaktionen und weiß als Prozessprofi sofort, wie sie diese zu bewerten hat. In all diesen Situationen bleibt sie selten allein – doch viel zu oft einsam. Ein Eindruck, der sich durch die kluge Lichtregie noch verstärkt, die unseren Blick wiederholt an Orte lenkt, die naturgemäß (Monolog!) leer bleiben müssen. Die Mutter, der Täter, die beste Freundin, der eigene Verteidiger…: Sie alle sind da. Bloß nicht wirklich präsent.
Derart auf sich geworfen findet Tessa im prozessentscheidenden Kreuzverhör einen Weg durch alle Zweifel. Sie habe, bricht es aus ihr hinaus, den Glauben verloren an das System. Ein System, welches sie eigentlich schützen solle. Dieses Bekenntnis hat einen schalen Beigeschmack. Im Zeugenstand nämlich steht keine Entmachtete, kein reines Opfer, dem etwas abhanden gekommen wäre. Dafür kennt Tessa das (Rechts-)System zu gut, sie weiß, dass es im Gerichtssaal weniger um Wahrheit geht als ums bessere Argument – und wenn das schon nicht bei der Hand ist, um die überzeugendere Performance. Diesem System hat sie zugearbeitet. Daran hat sie geglaubt, ihr Kapital und ihre Reputation daraus geschlagen, einer eingeschworenen Clique zum Freispruch zu verhelfen, der sie nunmehr zum Opfer fällt. Der Gedanke, dass dieses System männergemacht ist und über Generationen mit Testosteron betankt wurde, musste sich ihr als ambitionierter Jurastudentin und überambitionierter Anwältin geradezu aufdrängen. Da steht mithin niemand, der etwas verloren, da spricht jemand, der sich etwas zurückerkämpft hat: die eigene Stimme. Und mit der schwört Tessa einer Judikative ab, die im Zweifelsfall kein Recht spricht, sondern ein Urteil. Dass sie ihren eigenen Anteil daran erkennt und benennt, macht ein fehlerhaftes System nicht weniger falsch, legitimiert nicht das Unrechtmäßige – ganz im Gegenteil.
Nach dem schalen Beigeschmack folgt ein bitterer: Emanzipation und Empowerment heißen in Tessas Fall lediglich, perfekt nach patriarchaler Pfeife getanzt, diskriminierende Denkarten nicht nur übernommen, sondern konsequent zu Ende gedacht zu haben, um sich an die Spitze eines an sich frauenfeindlichen Feldes zu setzen. Immerhin vergleicht sie selbst eine Verhandlung mit einem Pferderennen; „Fang an zu spielen!“ ergeht gleich zu Beginn des Abends als Appell an die eigene Adresse. Dieses falsche Spiel geht weiter: Tessa verliert, entkommt damit allerdings einem zermürbenden Zirkel; Jette Seier findet dafür das abschließende und -rundende Bild: Tessa fragt verzweifelt, wie sie diesen Ort, das Gerichtsgebäude, wieder verlassen soll, ob sie ihm überhaupt jemals entkommen kann – um direkt danach schnurstracks durchs Publikum abzugehen. Das ist mehr als der selbstbewusste Weg in eine ungewisse, dafür maximal offene (weil freie!) Zukunft: Da kommt was auf uns zu.
Suzie Miller hat ihr differenziertes Drama mutig in ein Themenfeld gepflanzt, auf dem Dialektik und Diskurs längst niedergemäht wurden zugunsten reißerischer Rhetorik und rüder Reflexe. Es ist dem Jungen Theater hoch anzurechnen, diesen Mut mit seiner Inszenierung jetzt weiterzutragen. Und man darf gespannt sein, welche Tiefen Malin Kraft den verschiedenen Farben ihrer Figur in den kommenden Vorstellungen noch zu geben vermag.
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