Die Herzen im Innersten berührt

Johannespassion mit der Kantorei St. Jacobi

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Zur Eröffnung des Konzertes in der gut gefüllten Jacobikirche war die selten gespielte Kantate BWV 18 »Gleichwie der Regen und Schnee fällt« zu hören. Sie wurde für den Sonntag Sexagesima komponiert und wurde vermutlich in Weimar am 19. Februar 1713 uraufgeführt. In diesem Jahr war Sexagesima am 23. Februar, also gerade erst vor wenigen Tagen. Das besondere an der Kantate ist, dass in dem Werk keine Geigen besetzt sind, dafür aber 4 Violen. Das erzeugte eine ganz besondere, eher düstere Stimmung. Aber auch die Textvorlage mit dem Gleichnis vom Sämann sowie der Aufbau der Kantate mit nur einer Arie sowie einer ausgedehnten Litanei. Diese Musik war eine besondere Entdeckung!

Den dunklen Charakter der Instrumentation griff Stefan Kordes auch im Eingangschor der Johannespassion auf. Dafür sorgte auch das Kontrafagott, das nicht nur optisch im Orchester auffällt, sondern durch seinen abgrundtiefen Klang eine besondere Stimmung erzeugen kann. Alexander Golde spielte dieses ungewöhnliche Instrument. Aber auch in der Dynamik gestaltete Kordes den Eingangschor besonders dramatisch. Die bestens vorbereitete Kantorei St. Jacobi folgte ihrem Chorleiter nicht nur im Eingangschor, sondern war am gesamten Abend hochkonzentriert und gestaltete die große Chorpartie engagiert und überzeugend.

Einkomponierte Dramaturgie, dynamische Zurückhaltung

Kordes blieb der dramatischen Gestaltung während der ganzen Passion treu. Neben der von Bach ohnehin einkomponierten Dramatik vor allem in den großen Volkschören verlangte Stefan Kordes mal dynamische Zurückhaltung, mal energisches Forte. Mal nahm er Tempo aus der Musik, mal zog er es kräftig an. So entstand eine überaus lebendige Interpretation. Das schließt die betrachtenden Choräle mit ein, auch wenn hier bisweilen das Tempo arg forciert war.

Das Solistenquartett bestand aus langjährigen Gästen: Gotthold Schwarz überzeugte mit den Jesus-Worten und Bass-Arien – auch wenn es der Stimme bisweilen an profunder Tiefe fehlt. Clemens Löschmann ist seit vielen Jahren Stammgast in Göttingen. Niemand weint so herzergreifend bitterlich, niemand geißelt so dramatisch, niemand erzählt die Passionsgeschichte so anschaulich wie Löschmann. 

Nicole Pieper begeistert mit ihrer großen Altstimme immer wieder. Wer auf eine solche Sängerin zurückgreifen kann, kommt gar nicht auf die Idee, einen Altus zu engagieren. Und Anna Nesybas glockenklarer Sopran berührt die Herzen im innersten. 

Das Solistenquartett wurde durch den Choristen Christian Neofotistos mit kräftigem Bass ergänzt. Weitere kleinere Solostellen (Soliloquenten) wurden ebenfalls von Chorist:innen übernommen, die leider im Programmheft nicht erwähnt wurden, aber natürlich am Schluss dennoch ihren Applaus bekommen haben.

Musizieren auf höchstem Niveau

Den hat auch das Göttinger Barockorchester mit seinem Konzertmeister Henning Vater für das Musizieren auf höchstem Niveau bekommen. Besonders erwähnt werden sollte Vaters Viola d’amore-Spiel gemeinsam mit Christiane Gagelmann, aber auch die beiden Flötistinnen Dorothee Kunst und Sarah Möller. Eine besondere Klangfarbe brachte Andreas Düker mit der Laute in die Musik.

Alle Mitwirkenden zusammen sorgten für eine bewegende Aufführung der Bachschen Passion. An deren Ende erklang die große Glocke der St. Jacobikirche. Der begeisterte Applaus setzte dementsprechend verzögert, aber nicht minder kräftig ein. 

Den musikalischen Abschluss der Passionszeit bildet St. Jacobi regelmäßig am Karfreitag um 15 Uhr. In der Andacht zur Todesstunde Jesu erklingt am 29. März die Markuspassion von Charles Wood. Eine anglikanisch -romantische Passion, gesungen vom Kammerchor St. Jacobi mit Nik Myers (Evangelist), Christian Neofotistos (Jesus) und Friedhelm Flamme (Orgel). Die geistliche Ansprache hält Pastor Áron Bence.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin des Kulturbüro Göttingen. Redaktionell verantwortlich sind das Kulturbüro Göttingen sowie dessen Autor:innen.

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