Wenn Skelette um Macht und Vorherrschaft ringen, ist Geschichtsstunde in Northeims „Theater der Nacht“. Keinesfalls trocken wie in der Schule. Als „hochspannendes Grusical“, so hieß es in der HNA sehr passend nach der erfolgreichen Premiere, habe das Northeimer Theater das Leben des bekannten Sohns der Stadt, Graf Otto, auf die Bühne gebracht.
Von Anbeginn war das Theater der Nacht in die Planungen für die Feierlichkeiten zu Graf Ottos 1000. Geburtstag eingebunden. Das zeigt: Es ist integriert in der Stadt. Den langen, manchmal schwierigen Weg bis dahin kann Theaterleiterin Ruth Brockhausen am besten beschreiben.
Nach ihrem Theologiestudium in Wuppertal und Göttingen habe sie mit Theater angefangen, blickt die Herrin der Puppen zu den Anfängen zurück. Auf der Katlenburg habe sie sich einquartiert - damals habe man dort für wenig Geld eine Wohnung mieten können. Schon während ihres Studiums sei sie in studentischen Theatergruppen aktiv gewesen. Unter Leitung von Simone Rist habe sie erste Erfahrungen mit Masken gesammelt und damit experimentiert. In ihren ersten Solo-Stücken und in Aufführungen mit einem Kollegen seien die Kunstgesichter zum Einsatz gekommen. In den Kindergärten der Region seien sie präsent gewesen und hätten Mitmachtheater für die Jüngsten gemacht.

2001 eröffneten Heiko und Ruth Brockhausen in Northeim das Theater der Nacht – bereits zuvor tourten sie unter diesem Namen als Theater-Duo.
Ihren Mann Heiko lernte Ruth Brockhausen Mitte der 1980er-Jahre auf einem Northeimer Stadtfest kennen. Wegen eines Alphorns aus Pappmaché sei der Holzbildhauer ihr damals aufgefallen. „Das hat uns von da an immer begleitet“, erzählt sie. Bis heute steht es im Foyer des Theaters.
„Zuerst hat Heiko die Musik gemacht zu meinen Stücken“, erzählt die routinierte Theaterfrau. Später sollten die beiden als Tourneetheater zum starken Team zusammenwachsen – 1988 gründete das Duo sein „Theater der Nacht“. „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ nennt Ruth Brockhausen als ihre erste Inszenierung. Weil sie ohne einen Außenblick entstanden sei, hätten sie sehr viel daran arbeiten müssen, um sie weiter vertretbar zu präsentieren. Deshalb steht das Stück nicht mehr auf dem Spielplan.
Seinen Namen habe das Theater der ersten Theaterfigur zu verdanken, die sie gemeinsam geschaffen haben, „der dicken Frau Mond, die in ihrem Bauch Geschichten sammelt“. „Darüber hinaus lieben wir Nachtgestalten, skurrile Figuren, verrückte Geschichten und schräge Musik. Das passt alles gut in ein Theater der Nacht…“, findet Ruth Brockhausen bis heute. Was für sie in der Anfangszeit auch gut passte, sei ein kurzer Draht zum Figurentheater Gingganz gewesen. Über Gingganz habe sich der Kontakt zu Regisseur Peter Hauck ergeben. Mit ihm erarbeitete Brockhausen Stücke, die sie auf Festivals zeigen konnte. Auch im Ausland sei sie damit unterwegs gewesen. Und „Die Sterntaler von Frau Mond“ aus dem Jahr 1991 spielt Ruth Brockhausen bis heute, „weil ich die Geschichte gern mag“. Diese Vorstellung für Kinder ab vier Jahren habe sie mit Peter Hauck entwickelt.
Ende der 1990er Jahre entdeckte der Northeimer Heiko Brockhausen die Alte Feuerwache als Spielort. Umbaubeginn zum heutigen Theater sei 1999 gewesen. Aus dem Feuerwehrhaus mit Schlauchturm wurde das Niedrigenergiehaus mit künstlerisch durchdachter Gestaltung. Die Northeimer seien anfangs skeptisch gewesen. Doch mit dem urigen Hinguckhaus hat das Figurentheater in Northeim eine feste Spielstätte bekommen. Am 11.8.2001 wurde der charmante Bau bei strahlendem Sonnenschein mit einem großen Maskenumzug, einem Theatermarkt und natürlich auch sonst viel Theater eröffnet. Seit 2023 steht das besondere Haus unter Denkmalschutz.
Mit einem festen Standort in Northeim erweiterten sich die Möglichkeiten des Teams mit mittlerweile zwölf Mitarbeiter*innen. Es gibt kontinuierlichen Spielbetrieb mit regelmäßigen Inszenierungen und Theaterfestivals, einen Lernbetrieb mit Werkstattgesprächen, Symposien und Fortbildungen sowie einen Mitmachbetrieb mit Kursangeboten und Aktionstagen. Etwa 100 bis 120 Aufführungen werden jedes Jahr im Theater der Nacht gegeben, gibt Brockhausen einen Überblick über das umfangreiche Programm. Weitere 100 Veranstaltungen würden im Northeimer Saloncafé ausgerichtet. Hier können Interessierte in den Figurenbau schnuppern, es gibt Musik- und Schreibkurse, Figurenbaukurse, Lesungen, kleine Konzerte oder künstlerische Experimente. Im Theaterclub werde gerade an einer digitalen Stadtführung mit Puppen gearbeitet. Die Premiere soll im Juni steigen. Im Winter will der Club Shakespeares „Sommernachtstraum“ zur Aufführung bringen. Zu den festen Mitarbeiter*innen und zwei bis drei Praktikanten kommen etwa zehn Ehrenamtliche, die zum Beispiel für das Café Kuchen backen und im Service mithelfen, Kostüme nähen.
Außerdem ist das Northeimer Theater Geschäftsstelle der internationalen Puppentheatervereinigung UNIMA (Union Internationale de la Marionnette) geworden. Diese internationale Vereinigung der Puppenspieler und Figurentheater-Interessierten wurde 1929 in Prag gegründet und ist die weltweit älteste und am weitesten verbreitete Theatervereinigung mit gut 100 nationalen Zentren. Seit zehn Jahren arbeitet Ruth Brockhausen als Erste Vorsitzende im Vorstand der UNIMA Deutschland. Auch dadurch sei das Northeimer Theater gut vernetzt, sowohl deutschlandweit als auch zu internationalen Festivals und renommierten Puppenspielern. „Dieser Austausch mit Kolleg*innen bereichert unsere Arbeit und Kunst sehr“, betont Brockhausen. So werde in Northeim regelmäßig eine Figurentheaterkonferenz mit 60 bis 70 Puppenspielern auch aus Asien und Lateinamerika ausgerichtet. Diese Gelegenheit nutzten die Künstler gern, um zusammenzuarbeiten. Die neunte Deutsche Figurentheaterkonferenz veranstaltet der Verband Deutscher Puppentheater (VDP) mit der UNIMA und dem Theater der Nacht vom 15.8. bis 24.8.2025 in Northeim zum aktuellen Thema „Wir haben's in der Hand – Figurentheater & Demokratie“. Dazu werden am Theater der Nacht Symposium, Künstlergespräche, Theatervorstellungen, Workshops und Arbeitsgespräche ausgerichtet. „Puppe wirkt Wunder“ lautete das Thema im vergangenen Jahr. Dabei wurde laut Ruth Brockhausen deutlich, dass die Kraft von Figuren in der Regel unterschätzt wird. Puppen könnten Dinge ausdrücken, die ein Schauspieler nicht sagen dürfe, ohne den Zuschauenden zu nahe zu treten.

Heiko Brockhausen mit einer Figur aus dem aktuellen Stück „Otto von Northeim – Herzogsglück und Kaiserschmarrn“
Das Theaterteam habe immer wieder gern mit unterschiedlichen Inszenierungsansätzen und Konzepten gearbeitet, wechsele ab mit Materialien und Figurenarten von Masken über Stab-, Flach- und Großfiguren, die zuweilen auch grotesk daherkommen dürften. Sehr wichtig ist Ruth Brockhausen der Blick von außen. Bei selbstgeschriebenen Stücken, wie jüngst „Otto von Northeim – Herzogsglück und Kaiserschmarrn“, gelte es, ein dramaturgisches Auge zu bewahren. Urteilt man nach dem Applaus, ist das bei dem Stück zum 1000. Geburtstag des bedeutenden Sohns der Stadt Northeim gelungen (nächster Termin: 16.5.).
„Was wir hier gemacht haben, war aufregend und spannend“, blickt Brockhausen zufrieden auf 37 Jahre mit dem Theater der Nacht zurück. „Wir sind jetzt dabei zu gucken, ob wir das Haus weitergeben können“, sagt die Chefin mit 67 Jahren. Gesucht wird eine neue künstlerische Leitung ab 2026. Mehr Infos dazu und zu weiteren Themen unter theater-der-nacht.de.

Ruth Brockhausen als Richenza, die Enkelin von Graf Otto, bestreitet das Stück komplett solo.
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Im Artikel genannt
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Theater der Nacht
Verwunschener Traumraum für Figuren- und Objekttheater
Figurentheater Gingganz
Mobiles Figurentheater für Kinder und für Erwachsene
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