Bissig auf der Bühne: Die Göttinger Theaterformation „stille hunde“

im Gespräch über Theater, Konzepte und das echte Leben

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Stille Hunde können durchaus bissig sein. Zumindest, wenn sie auf der Bühne stehen und sich im Dialog über Gott und die Welt, Alltagsprobleme, Beziehungsclinch oder gesellschaftliche Beobachtungen die Bälle zuwerfen – verbal, versteht sich. Hinter der Göttinger Theaterformation stille hunde stehen Stefan Dehler und Christoph Huber. Bezeichnend für das Schauspieler-Duo ist vor allem, dass sie nicht in einer festen Spielstätte auf ihr Publikum warten, sondern über Land reisen und aus dem kleinsten „Stübchen“ mit wenigen Utensilien eine Bühne erschaffen, wo sich durchaus große Dramen abspielen können. Mit diesem Konzept haben die beiden Profis schon viele Fans gewonnen. Egal, ob sie Schillers Wilhelm Tell, Mörderisches mit Sherlock Holmes und Dr. Watson oder „Marzipanschweine“ in bester Screwball-Manier zum Besten geben, die Veranstaltungen sind schnell ausverkauft. Über Kunst, Kulturangebote und den Neustart in postpandemischer Zeit sprachen die stillen hunde in einem kulturis-Interview.

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Zwei Männer mit weißem Haar sind in schwarze Plastiksäcke eingewickelt. Einer hält ein Blatt Papier in der Hand.
Lizensiert gemäß Alle Rechte vorbehalten von Claudia Nachtwey

stille hunde - Christoph Huber und Stefan Dehler – zu Gast in der Duderstädter Stadtbibiolthek

Lieber Stefan, lieber Christoph, Ihr bringt Euer Programm schon seit der Gründung der stillen hunde (2008) zu den Leuten aufs Land. Wie kamt Ihr auf die Idee zu diesem Konzept? Welche Vorteile, bzw. Schwierigkeiten sind damit verbunden?

Das war schon gleich zu Beginn streng betriebswirtschaftlich gedacht. Allerdings nicht auf die Inhalte unserer Theaterprogramme bezogen. Wir überlegten nicht etwa, welcher Theaterstil oder welches Thema den Geschmack des Publikums im sogenannten ländlichen Raum treffen würde. Unsere Vorstellung von Theater war und ist geprägt von der Absicht, verständlich zu sein. Wir wollen Stoffe und Themen so darstellen, dass man versteht, was daran von Bedeutung ist, was es mit einem zu tun hat.
Wir waren ja als Theatermacher durch unsere Arbeit am Deutschen Theater in Göttingen bekannt und konnten davon ausgehen, dass wir auch in einer Göttinger Spielstätte – das APEX hat uns seine Bühne sofort angeboten – Zuschauer haben würden. Aber es war auch klar, dass wir ein Publikum jenseits der Stadtgrenzen suchen müssten, um mit einiger Sicherheit genug verdienen zu können. Wir hatten das große Glück, viele Unterstützer zu haben. Eine großartige Basis hatten wir durch den Arbeitskreis der südniedersächsischen Bibliotheken. Die Theater-Literatur-Abende, die wir gemeinsam mit den Bibliotheken-Teams in Göttingen, Duderstadt, in Herzberg, Bad Lauterberg, Seesen, Northeim, Einbeck und Holzminden veranstaltet haben, hatten uns schon vor 2008 in den Landkreisen bekannt gemacht. Später kamen dann die DenkmalKunst-KunstDenkmal-Festivals dazu, bei denen wir viele unterschiedliche Programme vorstellen durften. Daneben sind wir viel mit unserer ersten Theaterproduktion, das Klassenzimmerstück „Die Besserung“, die das Jugendkonzentrationslager in Moringen thematisiert, in den Schulen der Region zu Gast gewesen. Einen besonderen künstlerischen Impuls bekam unsere Arbeit in der Region, als sich durch den Einsatz unserer damaligen, inzwischen leider verstorbenen Kollegin Maja Müller-Bula die Möglichkeit ergab, im Schloss Rittmarshausen Theater zu machen. Der Ort regte unsere Fantasie an. Wir fanden es toll, Geschichten für diese speziellen, historischen Räume zu finden. 
Was die Frage nach den Vorteilen und Nachteilen betrifft... Vielleicht kann man es so am besten erklären: Wir machen, was notwendig ist. Die Beschränkung auf wenige, dann aber bedeutungsvolle Elemente macht unsere Produktionen beweglich, erlaubt das Reisen. Es ist leicht, unsere Inszenierungen an unterschiedliche Räume anzupassen. Nichts Wesentliches wird dabei beschädigt. 

Der Nachteil dieser Idee von Theaterkunst ist sicher, dass bestimmte luxuriöse und effektvolle Darstellungsweisen, das lustvolle Zelebrieren von Überfluss, für uns so gut wie nie in Frage kam. Obwohl wir auch darauf manchmal Lust hatten.

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Eine Bibliothek in einem Fachwerkhaus mit mehreren Reihen Bücherschränken
Lizensiert gemäß Alle Rechte vorbehalten von Claudia Nachtwey

Nicht nur ein Ort für Bücher, sondern auch für Theater und Kulturveranstaltungen – Die Duderstädter Stadtbibliothek im historischen Rathaus

Als stille hunde gibt es Euch seit 2008. Damals war man auf dem heimischen Sofa noch weit entfernt von Streaming-Diensten wie Netflix und Co. Ist das Internet inzwischen eine Konkurrenz für die Live-Bühne? Haben sich die Ansprüche des Publikums verändert? Wenn ja, wie reagiert Ihr darauf?

Diese Fragen sind mit dem Aussetzen der öffentlichen Aufführungen während der Pandemie häufig gestellt worden: Sucht sich das Publikum nun dauerhafte Alternativen? Aber eine echte Konkurrenz zu den Veranstaltungen, die man im Hier und Jetzt und vor Ort erleben kann, sind weder die Live-Streams noch die ausschließlich für die digitale Verwertung produzierte Kunst, vor allem Filme, Serien. Selbstverständlich konkurrieren die Anbieter von Konzerten, Opernaufführungen, Theatervorstellungen, Kabarettabenden, Kinoprogrammen usw. mit den unbeschreiblich vielen Online-Angeboten. Das ist sicher ein Problem. Die Leute haben nicht unendlich Zeit. Sie müssen sich für eine Sache entscheiden. Aber die Anziehungskraft der Live-Kunst wirkt noch. Die ansteigenden Zuschauerzahlen beweisen das gerade. Es ist übrigens in den meisten Fällen nicht der irgendwie „wichtige“ Inhalt, der das Publikum bewegt, sondern die Motivation liegt in der sozialen Komponente. Man nimmt Live-Kunst zum Anlass „rauszukommen“, etwas zu unternehmen, Menschen zu begegnen, die den gleichen Geschmack haben wie man selbst. Für uns heißt das: Weiterhin überraschen und authentisch sein, den Moment, das Hier und Jetzt betonen, das gemeinsame Lachen, die kollektive Bestürzung aus der Darstellung von Stoffen und Themen „herauskitzeln“.

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Zwei Männer stehen sich in einem dunkel blauen und beigen Anzug gegenüber. Der rechte Mann zeigt auf den linken Mann. Zwischen Ihnen leuchtet eine Stehlampe.
Lizensiert gemäß Alle Rechte vorbehalten von Claudia Nachtwey

Das Stück Marzipanschweine der stillen hunde: gepfefferte Dialoge gepaart mit Comedy

In der Corona-Zeit hattet Ihr nicht nur mit dem Wegfall der Auftrittsmöglichkeiten zu kämpfen, sondern auch mit dem Verlust Eurer Kollegin (Maja Müller-Bula starb 2021 an den Folgen einer Corona-Infektion). Was hat das mit Euch gemacht? Fiel der Neustart nach dieser lähmenden Zeit schwer? Oder war es eher befreiend, wieder nach draußen zu gehen und auf der Bühne zu stehen?

Der plötzliche Tod unserer Freundin und Kollegin war ein Schock. Wir hatten zu dem Zeitpunkt begonnen, die nähere und fernere Zukunft zu planen, hatten uns um wirtschaftliche und künstlerische Alternativen gekümmert, und es sah im Mai 2021 tatsächlich gar nicht so schlecht aus. Immerhin hatten wir Zusagen von Fördergeldern, die uns ein Weiterarbeiten ermöglichen würden. Dass Maja dann sterben musste, war tragisch. Einige Projekte haben wir später verändert durchgeführt, andere wurden ganz verworfen.
Wirtschaftlich hat uns neben den Projektförderungen und den Corona-Hilfen unsere Arbeitslosenversicherung, die wir für eine kurze Zeit in Anspruch genommen haben, über Wasser gehalten. Es war gut, mal wieder Zeit zu haben, über die eigene Arbeit, Interessen und Ziele nachzudenken. Die lange Zeit des Stillstands konnten wir auch für einige kreative Herzensangelegenheiten nutzen, beispielsweise die 3D-Hörspielfassung von „Die Besserung“. Im vergangen Jahr konnten wir dann endlich die HUNDSTAGE durchführen, eine schon lange ins Auge gefasste Programmreihe, in der wir Arbeiten vorstellen, die wir vor allen aus technischen Gründen nicht dauerhaft im Spielplan halten können.
Abgesehen von Majas Tod sind wir alles in allem also erstaunlich gut durch die Corona-Zeit gekommen. Es ist allerdings auch sehr schön, wieder vor anwesendem Publikum aufzutreten. Das haben wir vermisst.

Welche Pläne habt Ihr für die Zukunft?

Jetzt gilt es, neue Programme zu entwickeln. Ein neues Kinderstück ist in Vorbereitung. Im Juni (2023) werden wir mit einer Live-Hörspielfassung von Friedrich Glausers Krimi „Matto regiert“ die dritten HUNDSTAGE im Apex veranstalten. Und wir sind wieder unterwegs.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Autor:in

Claudia Nachtwey

Gründerin von Clanys Eichsfeld Blog und Autorin des kulturis-Magazins

Fokus

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Im Artikel genannt

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schwarz-weiß Foto eines Mannes vor grünem Hintergrund. Aus der Mitte seiner Brust gehen rote Strahlen in alle Richtungen.

HUNDSTAGE: Live-Hörspiel „Studer ermittelt“

Live-Kriminalhörspiel der stillen hunde – nach dem Roman „Matto regiert” von Friedrich Glauser

Im Rahmen der diesjährigen HUNDSTAGE stellt stille hunde im Göttinger APEX den Kriminalroman MATTO REGIERT von Friedrich Glauser in einer mittels Kopfhörer übertragenen Live-Hörspielfassung vor. Bei dem Projekt arbeiten stille hunde mit Stephan Schmidt von FRIENDS OF GRREN SONIC zusammen. Der extrem...

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