Der Maestro der orientalischen Erzählkunst

Rafik Schami: »Wenn du erzählst, erblüht die Wüste«

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Sein Auftritt war aber gewiss keine gewöhnliche Lesung, sondern eine freie Wiedererzählung seines jüngsten Werks. Nach der Erzähltradition seiner Heimatstadt Damaskus mag es Schami, dem Publikum seine Geschichten mündlich vorzutragen. Er erzählte also frei die Geschichten von Thronfolgerin Jasmin oder der klugen und zugleich schönen Witwe Gamila, setzte das Publikum aber auch gern über seine eigenen Anekdoten als erfahrener Schriftsteller in Kenntnis.

Als Kind lernte er in den Gassen von Damaskus das Erzählen. Und an diesem Abend stellte der mehrfach ausgezeichnete Autor erneut unter Beweis, dass er ein sehr begnadeter Geschichtenerzähler ist. Wie kein anderer erzählt Schami sehr lebhaft, mal träumerisch, mal humorvoll, seine Geschichten auf den Spuren von Tausendundeiner Nacht. Für die Zuschauerinnen und Zuschauer war Schamis Auftritt somit nicht nur ein schönes Erlebnis, sondern auch eine besondere Erfahrung mit der Magie des Geschichteerzählens.

Bevor es mit den fantastischen Geschichten rund um Prinzessin Jasmin losging, sprach sich Rafik Schami für den Erhalt von lokalen Buchhandlungen aus. „Die Innenstädte sterben langsam aus, auch die Buchhandlungen. Buchhandlungen bringen Kultur in unsere Städte, wir müssen diese unterstützen,“ ermutigte er alle Zuschauer. „Geht hin! Das erzählte ich einst einer Gruppe von Jugendlichen. ‚Da muss man aber was kaufen,‘ sagten sie zunächst unentschlossen. ‚Ihr müsst Garnichts kaufen, geht einfach hin,‘ antwortete ich. Als sie sich schließlich überwunden hatten hinzugehen, waren sie richtig begeistert, als sie sogar gratis Kaffee bekamen und nette Gespräche mit den Händlern hatten.“

Nahtlos ging er dann von der magisch-angenehmen Atmosphäre der Buchhandlung zu der Zauberwirkung seines Romantitels über. Spontane, nahtlose Übergänge von einem Thema ins nächste, ein weiteres Talent des Erzählers. „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“ ist eine Huldigung für die magische Zauberkraft der Worte, die alles um dich herum erblühen lassen kann!

Zeit der großen Abenteuer

Ein wesentliches Merkmal von Schamis Stil ist seine Nähe zur oralen Tradition des arabischen Geschichtenerzählens, wie man sie auch in »Wenn du erzählst, erblüht die Wüste« findet. Innerhalb der rein narrativen Rahmenhandlung um Prinzessin Jasmin wird eine Serie von einzelnen, mündlich übermittelten Geschichten entfaltet. Diese einzelnen Kurzgeschichten stehen für sich und werden der Prinzessin im Laufe des Romans erzählt, ganz ähnlich wie in »Tausendundeine Nacht«.

„Mein Buch hat 480 Seiten! Das alles vorzutragen wäre etwas ungesund,“ erklärte Schami auf charmante und amüsante Weise. „Deshalb werde ich sie auf eine kleine Reise durch Jasmins Welt führen!“

Wir befinden uns in einer Zeit der großen Abenteuer und der alten Königreiche im Morgenland! Arabien wird besetzt vom Osmanischen Reich. Deshalb haben sich kleine Staaten und Königreiche gebildet, die nun als Vasallenstaat dienen. In einem dieser arabischen Länder des 19. Jahrhundert herrscht der tugendhafte und weise König Salih. Seine mutige und kampferprobte Tochter Prinzessin Jasmin soll seine Thronfolgerin werden. Aus diesem Grund will Jasmin raus aus dem Palast, um Erfahrung zu sammeln. Jasmin zur Seite steht die treue Zofe Nura. Die Zofe begleitet Jasmin auf ihrer Reise und passt auf sie auf. „Eine Zofe ist nicht nur eine Sekretärin, sondern vor allem eine „Schutzengelin,“ so Schami. „Ein Germanist meinte zu mir, das Wort ‚Schutzengelin“ gäbe es nicht. Und ich erwiderte: ‚Heute schon!‘“ Als Zuschauer merkte man richtig, wie gut sich Schami mit dem Orient auskennt und man hörte einfach fasziniert mit! Ständig hatte man das Gefühl „von diesem Mann kann ich noch viel Neues lernen!“

Auf ihrer Reise erlebt Jasmin mit Zofe und „Schutzengelin“ Nura viele Abenteuer. Das wohl bedeutendste Abenteuer war, als sie einen jungen Fischer vor dem Ertrinken rettete und sich Hals über Kopf in diesen Tollpatsch verliebt. Ohne zu zögern sprang Jasmin nackt in das Wasser, um den Fischer zu retten. Als er zu sich kommt erblickt er die nackte Frau. „‚Bin ich jetzt im Himmel?,‘ fragte der Fischer verträumt. ‚Nein, ich bin Jasmin und du lernst besser schwimmen!‘“ Rafik Schamis sehr humorvoller und abenteuerlicher Erzählstil wirkt einfach sehr authentisch und lebendig. Sein Stil erinnert auch stark an Geschichten wie »Aladdin«, wirkt aber auf magische Weise stets erfrischend und nie altbacken oder klischeehaft. Dies sieht man allein schon daran, dass Schami eine tapfere Prinzessin als Protagonistin wählt. Diese muss nicht gerettet werden, sondern rettet stattdessen den Mann!

Als ihre Mutter, die Königin, bei einem Attentat ums Leben kommt, versinkt Jasmin in tiefe Trauer und Melancholie. Der König beschließt schließlich, den zu belohnen, der Jasmin heilen kann. Der Kaffeehauserzähler Karam beschließt also, die Prinzessin nicht zu heilen, sondern ihr zu helfen. Allabendlich versammelt Karam Erzählfreudige im Königspalast, um Jasmin durch die schönsten Geschichten ins Leben zurückzuholen. Es sind Erzählungen mit Gegensätzen: Von Mut und Feigheit, von Freundschaft und Feindschaft, von der Liebe und der Weisheit des Herzens. Natürlich darf nicht die gewisse Würze fehlen. „Wenn man nur über schöne Dinge und gute Menschen redet, hört es sich an wie eine Predigt. Da sagt man irgendwann: ‚Gut! Das reicht!‘ Deshalb gibt es auch Geschichten von Gaunern und Lügnern. Die Locken die Menschen raus,“ so Schami. Damit hat er gewiss recht. Eine Geschichte handelt von der schönen Witwe Gamila, die durch vier lüsterne Gauner und Lüger, darunter auch ein Polizeipräsident, ihr Erbe verliert. Durch eine List, Sarg inklusive, schafft sie es schließlich alle Männer zu besiegen! Eine andere lustige Geschichte handelt von einem Bauern mit seinem Esel, der beschließt nicht mehr auf die Meinung der anderen zu hören.

Schamis Erzählungen sind sehr abwechslungsreich und vielseitig. Nichts wiederholt sich oder wirkt abgenutzt. Und außerdem ist die Länge der Geschichten perfekt. Kurz und knackig, einfach gesagt! „Damals hatten die betrunkenen Stadtkutscher im christlichen Viertel Syriens die interessantesten Geschichten zu erzählen,“ verriet Schami dem Publikum. „Deshalb spreche ich bei Taxifahrten oft mit dem Fahrer und frage: ‚Haben Sie letztlich etwas Komisches erlebt?‘ ‚Was Komisches?! Davon kann ich ein Buch schreiben?!‘ antwortete. Und ich erklärte: ‚Nein, das mache ich schon!‘“ Schamis scharfe Zunge sorgte immer wieder für einen guten Lacher!

Die lustigste Geschichte aus dem Morgenland war aber gewiss „Zwei Wünsche“, in welchem ein altes Ehepaar zwei Wünsche frei hat. Der 50 jährige Mann wünscht sich eine 40 Jahre jüngere Frau. Er wacht den nächsten Tag auf und ist plötzlich 90! Damit hat er nun seine 40 Jahre Jüngere! Diese amüsanten Twists und Pointen machen das Lesen und Zuhören seiner Geschichten immer wieder zu einem besonderen Erlebnis!

Eine wahre Perle des Orients! Rafik Schami weiß genau, wie er deutsche Leser und Zuhörer mit der Magie aus dem Morgenland begeistern kann. Der Maestro der orientalischen Erzählenkunst verzauberte das gesamte Publikum. Man kann einfach nicht anders, als Rafik Schami von Anfang bis Ende gespannt zuzuhören! Rafik Schamis neuer Roman ist eine wundervolle Hommage an »Tausendundeine Nacht«, der mit seinen unterhaltsamen und vielfältigen Geschichten und Pointen nie langweilig wird!

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin des Kulturbüro Göttingen. Redaktionell verantwortlich sind das Kulturbüro Göttingen sowie dessen Autor:innen.
Autor:in

Keanu Demuth

Journalist und Autor beim Kulturbüro Göttingen

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Im Artikel genannt

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