Museum im Umbau

Dr. Wolfs Wunderkammer in Hann. Münden wird noch konsequenter

Veröffentlichungsdatum

In Dr. Wolfs Wunderkammer geht es aktuell drunter und drüber. Nichts steht mehr an seinem Platz, Kisten und Koffer stapeln sich, der Doktor läuft geschäftig vom alten Museumsshop in die Werkstatt, von dort an einer Schaufensterpuppe auf Rollschuhen vorbei, zu deren Füßen ein einzelner Finger (!) liegt, dann geht es treppauf, treppab, das Auge huscht über Werkzeug, Staubwedel, viel Plüsch, Holz und… ja, was ist das eigentlich?

Das „Museum für Geschichte(n), Kunst & Kurioses“ öffnete 2020 in der Altstadt von Hann. Münden, jetzt befindet es sich in einem immensen Umgestaltungsprozess. Die Wunderkammer 2.0. soll entstehen, und Fans helfen durch Spenden mit. Die Neueröffnung war zunächst für März geplant und musste dann auf den 14. April 2023 verschoben werden. Die Zeit war knapp, doch das Team gibt alles, arbeitet regelmäßig bis drei Uhr nachts. Es wird genäht, geklebt, gebaut, entstaubt, gepuzzelt und neu sortiert. Natürlich soll Wunderbares herauskommen, getreu dem Museumsmotto: „Wundert euch wieder!“

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Schon jetzt gibt es vieles, was mich wundert. Zunächst die Arbeitskleidung des Doktors: ein brauner Kord-Anzug, eine glänzende graue Weste, gestreiftes Hemd mit Fliege, goldene Nickelbrille… Keine Zeit, sich umzukleiden, alles muss raus – und dann wieder rein. Viele neue oder bisher eingelagerte Schätze kommen zum Vorschein, Kisten mit Dingen, die mal irgendjemand aufhob in der Erwartung, genau diesen Knopf oder dieses Knöchelchen noch einmal gebrauchen zu können. Schenkungen oder Flohmarktbeute – auch selbst hergestellte oder reparierte Kuriositäten, die ein liebenswert altmodisches und detailverliebtes Upcycling-Programm durchlaufen.

Auf etwa 2000 bis 2500 Exponate schätzt das Wunderkammerteam den derzeitigen Fundus, die 67 alten Taschenuhren gelten dabei als ein Objekt. Dass die Zahl der Kuriositäten damit augenblicklich in wahrhaft wundersame (und beängstigende) Höhen schnellt, liegt auf der Hand. Besessen müssen die Museumsbetreiber sein, anders ist diese Fülle an allerkleinsten bis allersperrigsten Exponaten und Möbeln nicht zu erklären. Und erst die Energie für die Logistik rundum! Die Pflege oder gar ein Umzug dieser unzähligen, delikaten Gegenstände kann nur ein Albtraum sein.

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Dr. Wolf in seiner Wunderkammer - er deutet mit der Hand einladend auf einen rot gepolsterten Sessel.
Lizensiert gemäß Alle Rechte vorbehalten von swolf

Dr. Wolf lädt die Besucher:innen dazu ein, in seine Wunderkammer einzutauchen und sich alles in Ruhe anzusehen. So auch die 67 alten Taschenuhren, die an den Wänden des Raums aufgehängt sind.

Museen können so viel spannender sein, man muss sie nur neu denken.

Doch der Doktor hat ausgesprochen gute Laune, lacht und erzählt mit leiser Stimme und sehr gewählter Sprache, was im Hintergrund so alles am Entstehen und Erwachen ist. Er zeigt eine unbändige Freude an der Wiederbelebung und (Neu-)Kombination von Gegenständen und Einzelteilen, auch an der Einbettung der Exponate in wissenschaftliche Zusammenhänge und sagenhafte Fantasien. Neugier zählt! Begeisterung! Spielerei, gekoppelt mit Akribie! Bloß keine trockene Geschichts- und Wissensvermittlung. Museen können so viel spannender sein, man muss sie nur neu denken.

Als Besucher der Wunderkammer fühlt man sich binnen Sekunden in eine andere Welt und Zeit teleportiert. Es ist wie eine Reise ins verrückt-fantastische Wunderland der Alice, nur, dass man keinem gestressten weißen Kaninchen mit sorgenvollem Blick auf die Taschenuhr begegnet, stattdessen einem Sammelsurium an Lampenschirmen und Leuchtern unterschiedlichster Art und Dekade, Tierfellen, dicken Teppichen und schweren Vorhängen, Troddeln und Quasten, sagenhaften Gegenständen, darunter ein großer Globus, Gerippe, Geweihe, alte Spielgeräte aus Blech und Holz, ein in den Raum ragender Arm ohne Körper.

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Dr. Wolf begrüßt seine Gäste in der Wunderkammer – er streckt eine Hand mit Gehstock in Richtung Kamera. Links neben ihm ist eine Nachbildung eines Arms zu sehen, die eine Glaskugel balanciert.
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Alle Führungen durch die Wunderkammer werden von Dr. Wolf persönlich durchgeführt – schließlich ist die Kunstfigur essentieller Teil des Ausstellungskonzepts.

Das Interieur der Wunderkammer erinnert an ein Jagdzimmer, eine geheimnisvolle Bibliothek, das Wohnzimmer-Labor eines Alchimisten, die historische Werkstatt eines Tierpräparators oder Uhrmachers… oder einen Laden in der Winkelgasse, in dem Harry Potter seine Schulsachen einkauft. Um die Illusion zu vervollkommnen, gibt es in den Ausstellungsräumen, mit Ausnahme des einen, bald begehbaren Schaufensters, kein Tageslicht. Kein Fenster erlaubt mehr den Kontakt zur Außenwelt, alles ist abgehängt oder umgebaut. Einmal drin, finden sich Besucherinnen und Besucher wie in eine Zauberhöhle hineingesogen.

Mich juckt es in den Fingern, das schillernde Fell hier oder die ledrige Struktur dort mal kurz anzufassen, doch ich fürchte, die Dinge könnten hinter meinem Rücken lebendig werden, plötzlich Geräusche von sich geben und sich bewegen. Und vieles in diesem Museum ist so filigran und einzigartig, dass das Anfassen von Objekten auch künftig nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Doktors gestattet ist. Andernfalls wird man augenblicklich und auf ewig sehr unglücklich verzaubert. In eine traurige Meerjungfrau beispielsweise.

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Exponate in Dr. Wolfs Wunderkammer

Die Führungen in der Wunderkammer leben von den Fragen der Besucher:innen, denn Dr. Wolf kann zu allen Objekten Geschichte(n) erzählen und vermittelt so sein Wissen über die Exponate.

Je fragewütiger die Besucherinnen und Besucher sind, desto besser.

Ohne Erläuterung bewirkt die schiere Fülle in der Wunderkammer schnell eine Überforderung der Sinne. Doch es gibt zahlreiche Formate, die es Abenteuerlustigen erlauben, im Geleit des Doktors eine Reise durch Zeit und Raum zu unternehmen. Selbstverständlich kennt der „Universaldilettant“, so sehen die Betreiber den Doktor, nicht alle Hintergründe aller Einzelstücke seines Kuriositätenkabinetts. Doch er kennt viele und forscht unermüdlich weiter, auch mit Hilfe uralter Bücher, geheimnisvoller Apparate – und durch den Austausch mit Museumsgästen. Je fragewütiger die Besucherinnen und Besucher sind, desto besser. Denn im Kern geht es in der Wunderkammer um Kultur und um Geschichte(n). Oder, in den Worten des Doktors, „um die Entdeckung, Vermittlung und das Ergründen von Kultur mit allen Sinnen, ein forschendes Lernen, interaktiv.“

Noch ist das fertige Erscheinungsbild der Wunderkammer 2.0. nur zu erahnen, eins lässt sich jedoch vorhersagen: Wer ins Museum kommt, wird den Besuch kaum wieder vergessen. Viele Exponate sind einzigartig, zudem einzigartig präsentiert. Die Betreiber selbst, Sarah und Daniel R. Wolf, sind so konsequent, dass sie selbst ein wenig wie Requisiten der Wunderkammer anmuten. Stünden sie reglos in einer der vielen Nischen, fielen sie in ihrer Tracht, ihren Accessoires, ihrer Bart- und Brillenmode kaum auf. Sie verschmelzen farblich und stilistisch mit ihrer Umgebung und bilden mit ihren Ausstellungsstücken ein Gesamtkunstwerk. Und sie haben die Kunstfigur des Doktors so stark mit Daniel R. Wolf, dem Menschen, der ihm sein Gesicht und seine Gestalt leiht, vernäht, dass die Übergänge fließend und die Persönlichkeiten vermutlich nie wieder voneinander zu trennen sind.

Freunde der alten Wunderkammer, über 6000 gibt es davon allein auf Instagram, dürfen aufatmen. Der skurrile Charme des bisherigen Museums bleibt, auch die Erlebnisführungen, die Tea-Time mit dem Doktor, die Möglichkeit, die Räume als Kulisse für Fotoshootings, Filmaufnahmen sowie Veranstaltungen und Gastausstellungen zu nutzen. Es gibt künftig einfach NOCH MEHR zu sehen und vieles erhält jetzt einen besseren Platz, die „Forgotten Creatures“ sogar einen eigenen Raum. Die Ausstellungsfläche hat sich durch geschickte Umbauten und Nutzung unbespielter Ecken und auch Zimmerdecken fast verdoppelt. Ohne zusätzlich angemietete Räume. Schließlich gibt es noch ein ganz besonderes stilles Örtchen, eine Welt in der Welt in der Welt. Aber das sollten Sie selbst entdecken… und sich darüber wundern.  

Autor:in

Esther Niederhammer

Journalistin und Autorin aus Hann. Münden

Fokus

Fokus

Im Artikel genannt

Im Artikel genannt

Denkräume für Kulturgeschichte(n)

Das kleine Museumshaus in Hann. Münden ist u.a. das Zuhause von Dr. Wolfs Wunderkammer und dem Mythenatelier Forgotten Creatures

Adresse
Radbrunnenstraße 17, Hann. Münden