Kulturstandort Seesen – Ein Stadtporträt

Das „Fenster zum Harz“ bietet Musik- und Religionsgeschichte, Kabarett und das Sehusa–Fest

Veröffentlichungsdatum

„Kultur und Bildung bei gleichberechtigter Teilhabe ALLER führt zu Integration und einem gesellschaftlichen Miteinander.“ Dieser Leitgedanke für ein gedeihliches Zusammenleben stammt von Israel Jacobson, der um 1800 in Seesen gelebt und gewirkt hat. 

Wir finden in Seesen wichtige Spuren der Kulturgeschichte, die uns zurück in die Zeit Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts führen. Die kleine über 1000 Jahre alte und geschichtsträchtige Stadt am Fuße des Harzes hat in ihrer Vergangenheit vielfach Zeichen gesetzt. 

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Geschichte

Seesen wurde 974 erstmals urkundlich erwähnt und erhielt 1428 die Stadtrechte. Der Name Seesen geht zurück auf einen See, der heute verschwunden ist. Im Mittelalter war der Name Sehuson (Seehausen) gebräuchlich. Die Burg Sehusa im heutigen Park der Generationen ist eine frühere Burganlage der Welfen. Sie ist der Nachfolgebau einer 1282 erstmals erwähnten Wasserburg. Die Burg beherbergt heute das Amtsgericht.

Im 20. Jahrhundert gehörte Seesen zum Freistaat Braunschweig. Nach dem Kriegsende kam Seesen 1945 zum Land Niedersachsen und hier zum Landkreis Gandersheim. Nach dessen Auflösung im Zuge der Kreisreform wurde Seesen zum 01.08.1977 dem Landkreis Goslar zugeordnet. In Seesen und seinen 9 Ortsteilen leben heute etwa 19.000 Menschen, davon mehr als die Hälfte in der Kernstadt. Es gibt viele gute Gründe, das landschaftlich schön gelegene „Fenster zum Harz“ zwischen Göttingen und Hannover mit seinen historischen Plätzen und moderner Infrastruktur und vor allem viel Kultur näher kennenzulernen.

 

Kultur im Städtischen Museum

Auf den Spuren der Kulturen in Seesen führt der Weg zuerst in das Städtische Museum im Sehuso-Park. Wie die Stadt selbst liegt das zentrumsnahe historische Gebäude des herzoglichen Jagdschlosses in Grünanlagen eingebettet neben Spielplatz und Minigolf. Eine Dauerausstellung gibt Einblicke in das jüdische Leben in Seesen und zu Israel Jacobson, der 1901 in Seesen eine Reformschule gründete, die mit ihrem Gotteshaus, dem „Jacobstempel“ zum Symbol für das liberale Judentum wurde. Eine weitere Dauerausstellung mit einmaligen Exponaten ist dem Klavierbauer Steinweg (später Steinway) gewidmet und zeichnet die Entwicklung des Unternehmens von der Gründung 1825 in Seesen bis zum Aufstieg zur Weltmarke „Steinway & Sons“ in New York nach. 

Im Museum wird auch an den Komponisten und Violinisten Louis Spohr (1784 – 1859) erinnert, der in Seesen aufwuchs und hier seine erfolgreiche Laufbahn begann, die ihn an viele Höfe Europas führte. Der Komponist, Dirigent, Gesangspädagoge, Violinist und Organisator von Musikfesten wurde zu einem gefeierten Interpreten und Komponisten des Biedermeiers. Neben Paganini zählte er zu den größten Geigern seiner Zeit. Spohr soll auch den Taktstock erfunden haben. In dem Haus, in dem Spohr von 1786 bis 1800 gelebt hat, erinnert eine Gedenktafel an den großen Sohn der Stadt.

Eine weitere Erinnerung gilt dem in Seesen geborenen Wilhelm Fitzenhagen (1848 – 1890), dem Pianisten, der auch Violine und diverse Blasinstrumente spielte. Seine wahre Begabung und Leidenschaft lag jedoch im Cellospiel. Sein musikalischer Weg führte ihn nach Russland, wo er seine neue Heimat fand und Direktor der Moskauer Musik- und Orchestergesellschaft wurde. In Seesen erinnert eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus im „Sack 9“ an ihn.

 

Von Steinweg zu Steinway & Sons 

Heinrich Engelhard Steinweg (1797 – 1871) ist sicher der bekannteste Bürger der Stadt. Er wird in Wolfshagen bei Seesen geboren. Seit 1825 lebt der Tischler und Orgelbauer in Seesen und beginnt, Klaviere herzustellen. Sein erklärtes Ziel: Das bestmögliche aller Klaviere bauen. Ab 1836 nennt er sich H. Steinweg – Instrumentenmacher in Seesen. Das erste Klavier baut er 1836 in der als Werkstatt genutzten Waschküche. 1850 entschließt er sich, mit seiner Familie nach New York auszuwandern. Der Name wird zu „Steinway“ amerikanisiert und bereits 1853 wird das eigene Unternehmen „Steinway & Sons“ gegründet. Zwei seiner Söhne, Theodor und Henry jr. revolutionieren den Klavierbau und Bruder William steuert kaufmännisches Talent zum Erfolg des Unternehmens bei. Die neue Marke wird zur Nr. 1 in den Konzerthallen der Welt.

Die ganze Familiengeschichte ist eindrucksvoll beschrieben in dem im Städtischen Museum Seesen erhältlichen Buch „William Steinway – Wo er war in Seesen und New York“ (2013), einer Spurensuche von Dirk Strohschein, dem Museumsleiter. Der 1874 gestorbene Firmengründer ist nie mehr nach Seesen zurückgekehrt. Sein Sohn William (Wilhelm) war 1868 erstmals wieder in seiner Geburtsstadt Seesen. Weitere fünfmal machte er die Reise über den Atlantik und trat mehrfach als Gönner und Wohltäter auf. Unter anderem finanzierte er erheblich den Bau des später nach ihm benannten Steinway-Kurparks in Seesen, der 1896 fertiggestellt wurde. Zum Dank ernennt ihn die Stadt Seesen zum Ehrenbürger. William Steinway konnte den wunderbaren Steinway Park nicht mehr selbst in Augenschein nehmen. Er starb im selben Jahr in New York. Im Park erinnert ein zwei Meter hoher Gedenkstein aus Granit an ihn und sein Kopf ziert als überdimensionierter Scherenschnitt auch das Dach der Konzertmuschel. Aus dem Steinway-Park führt der „Steinway-Trail“ über rund 16 km von Seesen nach Wolfshagen, dem Geburtsort des Firmengründers Heinrich Steinweg.

 

Israel Jacobson, Jacobsontempel, Jacobson-Haus

Israel Jacobson (1768 – 1828) war ein deutscher Kaufmann, Bankier, Rabbiner und Reformer. Geboren wurde er in Halberstadt. Er war Jude und gilt als einer der Begründer des Reformjudentums. Jüdisch orthodox erzogen, wandte er sich bald dem Reformgedanken zu. Die Wegbereiter der jüdischen Aufklärung wollten jüdische Traditionen mit moderner Kultur in Einklang bringen und aus der gesellschaftlichen Isolation herausführen. Über Wolfenbüttel kam Jacobson als Landesrabbiner mit dem Auftrag nach Seesen, die Juden in den Kreisen Gandersheim und Holzminden zu betreuen. Er sah die trostlose Lage der jüdischen Jugend und fasste den Plan, die Jacobson Schule als eine Industrie- und Ackerbauschule zu gründen. Ein wichtiges Ziel war ihm zudem, das Zusammenleben von Christen und Juden besser zu gestalten. Seine Schule sollte daher für Jugendliche beider Glaubensrichtungen offen sein.

Jacobsons Reformschule ist mit ihrem Gotteshaus, dem „Jacobstempel“ zum Symbol für das reformierte, liberale Judentum geworden. In dem als Schulsynagoge errichteten Tempel fand 1810 der weltweit erste reformiert-jüdische Gottesdienst statt. Er gilt daher auch international heute als Geburtsstätte des reformierten Judentums und steht für den engen Zusammenhang zwischen der Schulgründung der Jacobsonschule 1801 und der Blüte des jüdischen Lebens in Seesen. Der Jacobstempel als einzigartiges Symbol des Judentums wurde in der Reichsprogromnacht am 9. November 1938 durch Brandstiftung zerstört. Eine Rekonstruktion des Tempels hat 2010 ihren Platz in der Dauerausstellung zu Israel Jacobson im Städtischen Museum gefunden.

Das Jacobson–Haus mitten in Seesen ist heute ein modernes kulturelles Zentrum mit viel Geschichte. Ein offener, bunter Kulturmarktplatz mit vielen kulturellen Angeboten, dem Bürgersaal, Seminar- und Probenräumen und der Bibliothek mit Open Library.

 

Wilhem Busch

Der weltberühmte Dichter Wilhelm Busch (1832 – 1908) verbrachte seine letzten zehn Lebensjahre in Mechtshausen, dem kleinesten Stadtteil von Seesen. Hier entstanden zahlreiche Gedichte, die in den Sammlungen „Zu guter Letzt“ und „Schein und Sein“ veröffentlicht sind. Auf dem Friedhof in Mechtshausen ist Wilhelm Busch beigesetzt. Im Wilhelm Busch Haus in Mechtshausen können sein Wohnhaus und viele seiner Gedichte und Grafiken besichtigt werden. 

 

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Burg Sehusa
Lizensiert gemäß Alle Rechte vorbehalten von Klaus Hoheisel

Burg Sehusa beheimatet heute das Amtsgericht Seesen aber das Gelände wird auch immer wieder für Kulturveranstaltungen genutzt

Auch das gehört zur Kultur in Seesen

Das jährliche Sehusa–Fest mit seiner besonderen Atmosphäre ist das größte traditionelle Historienfest Norddeutschlands. Wenn der Klang von Trommeln durch die Straßen hallt, Ritter durch die Lager marschieren und der Duft von Met und Fladenbrot in der Luft liegt, dann verwandelt sich Seesen zwei Tage lang in eine Stadt vergangener Zeiten. Das vom Historienverein zu Seesen e.V. organisierte Fest erzählt die Geschichte der Stadt Seesen und ist nach 50 Jahren selbst schon zu einem Stück Stadtgeschichte geworden.

Seit einigen Jahren veranstaltet der Fachbereich Kultur der Stadt Seesen zum Sommeranfang auf dem schönen Gelände an der Burg Sehusa große Picknick-Konzerte am „blauen Auge“. An zwei Wochenenden Ende Juni 2025 gab es für rund 2000 Menschen bei freiem Eintritt einen grandiosen Sommerabend mit Pink Floyd-Musik der „Kings of Floyd“ und eine musikalische Mischung aus Soul, Rock und Pop der Band „Munique“. Ende Juni 2026 werden hier eine Genesis-Tribute Band und die „Robbie Williams Experience“ erwartet. 

 

Außerdem finden regelmäßig Theaterveranstaltungen in der Aula im Schulzentrum, Veranstaltungen im Bürgersaal des Jacobson-Hauses und Klassik-Konzerte in der St. Andreas Kirche statt. Die barocke Kirche mit herausragender Akustik ist durch die zweigeschossige Empore und die von 8 Säulen getragene Verbindung von Altar und Kanzlei einzigartig.

Seit über 30 Jahren organisiert der Verein Kulturforum Seesen e.V. in der Aula im Schulzentrum Musik, Kabarett-, Literatur und Kleinkunstveranstaltungen in der niedersächsischen Provinz. Was 1987 vorsichtig begann, hat sich inzwischen mit rund 10 Veranstaltungen im Jahr weit über die Grenzen Seesens hinaus als feste Größe in der regionalen Kulturszene etabliert.

Verfasser:in

Klaus Hoheisel

Kulturveranstalter und Autor im kulturis-Magazin

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Im Artikel genannt

Im Artikel genannt

Städtisches Museum Seesen

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Adresse
Wilhelmsplatz 4, Seesen
Bild
Ein sehr verziertes Klavier aus dunklem Holz
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Modell des Jacobsontempels
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